Nikolaus Lenau. Lesungen. Musik. Konzert. 16. + 17. Juli 2022.
Ausstellung. Schüttkasten Schloss Schrattenthal. 16. - 24. Juli 2022.
Die Chronik der Stadt Schrattenthal im nördlichen Weinviertel verzeichnet vor genau 200 Jahren eine seltene Fußnote der Literaturgeschichte: Nikolaus Franz Niembsch (1802-1850), einer der berühmtesten literarischen Vertreter der Romantik und besser unter dem Dichter-Pseudonym Nikolaus Lenau bekannt, war dort für einige Wochen zu Gast.
Lenau besuchte im September 1822 – und ein zweites Mal im August 1824 - seine Schwagerfamilie auf Schloss Schrattenthal. Die ehemalige Wasserschlossanlage aus dem frühen 15. Jahrhundert wurde in diesen Jahren von Johann Paul Schurz verwaltet, dessen Sohn Anton Xaver die Schwester Lenaus geheiratet hatte.
Schrattenthal, erstmals 1220 urkundlich erwähnt, liegt in der Nähe von Retz im Bezirk Hollabrunn und ist mit knapp 300 Einwohnern die kleinste Weinstadt Österreichs, deren Stadtrecht auf 1472 zurückgeht. Das feinfühlig renovierte Schloss befindet sich in Privatbesitz.
Naturstimmungen wurden in der spätromantischen Lyrik gern bemüht, um symbolische Sehnsuchtsbilder, affektive Seelenlandschaften und meist hoffnungslose Liebesschicksale zu beschreiben. Naturlyrik und Weltschmerz - ein von Jean Paul geprägter Stilbegriff - zeichnen auch Lenau als Dichter der Spätromantik aus. Lenau zählt mit Leopardi und Byron zum berühmtem Dreigespann der sogenannten Weltschmerzliteratur.
Was davon ist heute aktuell, übertragbar, nachempfindbar? Lassen sich 2022 nicht genügend künstlerische Verweise auf den schmerzhaften Zustand der Welt und - präziser noch - auf den Schmerz an der Welt machen?
Die Vorstellungswelt der Romantik mit der heutigen Zeit in einen künstlerischen Dialog zu bringen, das versucht das Projekt Weltschmerz reloaded anhand einer synästhetischen Begegnung von Literatur, Musik und bildender Kunst.
Weltschmerz reloaded entwirft ein poetisches Spektrum, das sich diesem eigentümlichen, melancholischen Begriff des Weltschmerzes annähert. In einer temporalen Entfernung von 200 Jahren stehen sich sehnsuchtsgetragene Gedichte, die heute etwas pathetisch anmuten, und zeitgenössische Positionen lyrischer Verdichtung gegenüber.
Die Lenau-Reprise führt über die in ihre jeweilige Zeit eingebettete Sprachlichkeit zu einer literarischen, musikalischen und künstlerischen Berührung des frühen 19. mit dem frühen 21. Jahrhundert
Das Wochenende 16.–17. Juli 2022 ist als Festival der Poesie angelegt, bei dem die Besucher*innen von Schloss Schrattenthal immer tiefer in die lyrische Versprachlichung der Welt und in die Dimensionen poetischer Befindlichkeit eintauchen.
Der Bogen dieser literarisch-musikalischen Reprise reicht vom Weltschmerz der Romantik zu einer prosaischeren Weltsicht, von stilistischer Verbrämung zur Sachlichkeit, vom reimförmigen Pathos zu struktureller Poesie, von der dichterischen Sublimierung unerfüllter Sehnsüchte zur künstlerischen Bewältigung existenzieller Desillusionierung.
Mit Maja Haderlap und Robert Schindel kommen am 16. Juli zwei der renommiertesten österreichischen Schriftsteller*innen zu Wort.
Der Abend gehört dann dem Sänger, Komponisten und Bandleader Oliver Welter mit einem feinen, elegischen Solokonzert im Schüttkasten.
Die Sprache einer vergangenen Zeit erklingt bei der Sonntags-Matinée am 17. Juli, wenn die Schauspielerin Mercedes Echerer eine Auswahl von Gedichten Nikolaus Lenaus liest. Die Musik zur Lesung kommt von der Fagottistin Maria Gstättner und dem Jazz-Akkordeonisten Stefan Heckel.
Ausstellung, Schüttkasten Schloss Schrattenthal. 16.-24. Juli 2022.
Im malerischen Schüttkasten von Schloss Schrattenthal kommt auch die bildende Kunst mit einer umfangreichen Ausstellung “zur Sprache” und komplettiert die literarische und musikalische Lenau-Reprise mit Beiträgen der Gegenwartskunst.
Im Kontext von Weltschmerz ist der Begriff amphimelas geradezu Programm - und er kommt von Nikolaus Lenau selbst, der einmal im Brief an Freunde dieses Wort auf seine eigene Schwermut angewendet hat.
Das altgriechische melas bedeutet schwarz, amphimelas schwarz ringsherum. Dass es dabei motivisch für die bildende Kunst auch, aber nicht nur um die Farbe Schwarz geht, macht ein Wort deutlich, das im Sprachgebrauch geläufiger ist: Melancholie (streng übersetzt „schwarze Galle“).
amphimelas als ein breites Spektrum von Schwarz setzt den Impuls für diese Ausstellung, deren Künstler:innen sich durch den literarischen, begrifflichen und historischen Kontext anregen lassen.
Entsprechend melas/schwarz fallen die künstlerischen Arbeiten aus: Schwarz als Zeichnung und Farbigkeit, Schwarz als Zustand und Befindlichkeit, Schwarz als Zeitbeschreibung und Vision.
Abstrakte Formgebungen mit der Farbe Schwarz als dominierende Couleur stehen neben konkreten Bezugnahmen zur Melancholie von Lenaus Dichtung. Landschaft und Natur als dunkle Gefühlsträger werden genauso zum Sujet wie die individuelle, künstlerische Deutung romantischer Befindlichkeit. Kritische Annäherungen an ein gefühlstrunkenes Weltpanorama stehen neben Werken, die der Konstruktion von Pathos mit zeitgenössischer Bildsprache nachspüren.
In der Ausstellung amphimelas : schwarz ringsherum stellen Ida Marie Corell, Elisabeth Czihak, Maria Grün (in Kooperation mit Eva Grün und Max Berner), Johannes Heuer, Michael Kos, Alois Mosbacher, Eva-Maria Raab, Frenzi Rigling und Gabriele Schöne mit ihren künstlerischen Arbeiten assoziative Bezüge zur Sphäre eines poetisch sublimierten Weltschmerzes her.
Die gewählten Medien umfassen Malerei, Skulptur, Objekt, Fotografie, Zeichnung, Collage, Installation, Video und Performance.
Gemeinsam ist den ausstellenden Künstler:innen nicht nur ihre Nachbarschaft im nördlichen Weinviertel, wo sie Lebens- und Arbeitsstätte oder Zweitwohnsitz haben, sondern auch die feinfühlige Auseinandersetzung mit heutigen Bild- und Lebenswelten.